Plastizieren 12. Klasse
Thema "Metamorphose"
Warum wähle ich gerade diese Thematik in der 12. klasse? Wie hängt sie zusammen mit dem Lehrplan und den Zielsetzungen der 12. Klasse? Wie kann diese Aufgabe gelöst werden?
Diese Fragen werde ich extra beschreiben, denn einerseits liegen diesem Fragenkomplex Gesichtspunkte des Lehrplanes zugrunde, andererseits möchte ich darstellen, wer den Begriff "Metamorphose" entwickelte und welche Bedeutung sie gerade im Kontext mit den anderen Fächern der 12. Klasse hat (zum Metamorphose siehe Seite "Erstes Goethanum", direkt unter dieser Seite).
Ein möglicher Epocheninhalt (Werkepoche Plastizieren) möchte ich hier skizzenhaft schildern. Später werde ich andere Versuche hinzufügen.
Bei der folgenden Schilderung ist wichtig, dass der Leser alle seine Phantasiekräfte aufwendet. Die geschilderten Elemente müssen innerlich "nach-plastiziert" und empfunden werden, sonst hat man kein Ergebnis, keine Vorstellung und kein Verständnis.
Phase I, erste Arbeit - Keimhaftes Stadium
Ein höchst einfaches Formprinzip wird in der Hand entwickelt.
Plastische Qualitäten: - Abgesondert vom Raum - Keine Raumbezug (kein "Oben", "Unten", usw.) - In sich abgeschlossen - Die Flächen schliessen das Volumen ab. - Die Form wirkt, wenn man sie willkürlich hinlegt, "lagernd"
Empfindungsqualitäten: - Stille - Ruhe - Dauer - "berührt von der Ewigkeit"
Hier folgt als Illustration zu dieser Arbeit eine Ton-Skizze
Dieselbe Form mit Marmorraspeln überarbeitet. Die Flächenspannung ist jetzt deutlicher.
Phase II, zweite Arbeit - Raumorientierung
Was verhüllt war in Phase I wird sichtbare Gestalt in Phase II. Die formbildende Kraft drängt, gehalten und umschlossen von den Flächen, in den Raum hinein. Sie bläht die Form der Phase I nicht einfach auf (wie ein Ballon aufgeblasen werden kann). Überall muss entschieden werden, was betont und was zurückgehalten werden soll oder was eine neu-gestaltete Notwendigkeit wird. Es ist eine erste Behauptung an einem Orte des Raumes.
Plastische Qualitäten: - Was sich in den Raum hinein entwickelt, muss sich mit dem Schwerkraftfeld auseinandersetzen. - Die Form wird begabt mit der Kraft des Aufrichtens. - Gleichgewicht - Ausgewogenheit müssen neu gesucht werden. - Die Flächen gestalten sich prall (konvex, nach aussen gewölbt), ohne voluminös oder dicklich zu wirken. - Standfläche (die Form soll nicht in den Boden, darauf sie steht, hineinversinken. Alles muss Aufsetzen, wie der Fuss der menschlichen Gestalt)
Empfindungsqualitäten: - Die Formteile strecken sich, dehnen sich, oder werden untergeordnet oder verkümmern gar - Es muss mit einer innovativen Intentionalität gearbeitet werden. - Das Formprinzip wird davon impulsiert.
(Zum Bild: Die zweite Phase in Entwicklung. Eine Ton-Skizze als Illustration)
Phase III, dritte Arbeit Wachstum und Werden bis zur voll-ausgewachsenen Gestalt.
Jede organische Gestalt hat "seine ganz eigene Grösse". Da die meisten Teilnehmer diese Stufe zu klein arbeiteten, habe ich eine mindeste Grösse gefordert: Die Masse soll mindestens die Höhe der gestreckten Hand und der Durchmesser soll mindestens Handbreite (mit Daumen) haben. Hier muss die Masse bewältigt werden.
Gewisse Formteile werden hier vorherrschend, bedeutend, aussagekräftig, andere Teile verschwinden vielleicht ganz. Ich habe empfohlen die Form nicht direkt aus dem vorgegebenen Klumpen zu bilden. Es sollte mit weniger Ton die Form, ihrer Veranlagung nach, entworfen werden, um dann durch Aufsetzen immer deutlicher zur neuen Gestalt zu gelangen.
Mit dem Aufsetzen ist es möglich das "Emporsteigen" gewisser Teile, die "Ballung" und "Spannung" der Fläche klarer herauszuarbeiten.
Plastische Qualitäten: - Die Form ist auf dieser Stufe voll ausgebildet. - Sie "sucht nicht", sondern sie "behauptet sich", "behauptet sich an einem Orte" - Standfestigkeit, Behauptungskraft, Sicherheit soll diese Form begaben. - Jede Fläche, die durch eine gefällige Strömung "von aussen" ihren Ausdruck erhält, muss vermieden werden, denn solche Flächen schwächen die Formgestalt (geblähtes Segel, Schneeverwehung, gehöhlter Gletschertopf, rühren von solchen gestaltbildenden Strömungen von aussen her)
Empfindungsqualitäten: Als ich fragte, ob jemand ein Beispiel nennen könne, sagte ein Schüler: Ja, so wie Schröder da steht, wirkt er wie die Form, die ich mich jetzt vorstellen muss. Ein anderes Beispiel nahm Bezug auf die Tierwelt: So wie der Löwe, der wie ein Standbild erscheinen kann, wenn er in seiner gloreichen Grösse, alles überherrschend, in seinem Territorium steht.
Die Form von Phase II hat sich metamorphosiert in diese voll-ausgewachsene Form. Hier sind Ansichten der Form von allen Seiten abgebildet. Es bleibt eine "Ton-Skizze"!
Phase IV, vierte Arbeit Die Form soll "welt-verändernd" in den Raum greifen
Wann verändert die Form den Umraum? In der letzten Phase hatten wir reine Behauptungskraft.
Die Nikè von Samothrake, die Götterbotin, wirkt verändernd auf den Umraum. Die Flügel sind nicht wie das Segel durch die Luftbewegung gebläht. Die Flügel "holen aus", es wirkt wie ein "Flügelschlag". Ein Flügelschlag, der Bedeutung hat.
Als wir Beispiele suchten, fanden wir diese in der Gestik, in der Gebärdensprache unserer Arme und Händen. Wobei es so genial ist, wenn man bildhauerisch arbeiten kann, weil hier die Geste ganzheitlich sichtbar gemacht werden kann. Unsere eigene Gestalt ist so ärmlich und beschränkt auf den Körper, aber mit den bildhauerisch gestalteten Flächen können wir die ganze Bewegung der Gebärden in den Raum hineinarbeiten.
Andere Beispiele bezogen sich auf die Architektur.
Plastische Qualitäten: - Die Flächen greifen in den Raum hinein, je nach Schwung und Dynamik dringen sie in den Umraum oder umschliessen grössere oder kleinere Teile des Umraumes. Sie können aber auch soweit hinausgreifen, dass sie bis zum Fixsternhimmel reichen! - Diese Flächen sind mehrheitlich konkav, aber "aktiv - konkav". - Die Raumdynamik muss erreicht werden (es darf nicht bei einem liebevollen Umrieseln der Form bleiben).
Empfindungsqualität: - Etwas von der Magie dieser Kraftentfaltung muss erlebt werden.
Hier folgen zwei Illustrationen: Die Metamorphose von Phase III in Phase IV. Diese Arbeit ist nicht abgeschlossen. Vom ersten zum zweiten Bild wird formal erkennbar, um was es sich handelt.
Weiterarbeit - Entwurf 21.02.2020 Künstlerische Arbeitsprozesse sind lebendige Prozesse. Wie Henry Moore sagte: man arbeitet mit Sympathie und Antipathie, mit Gefallen und Missfallen. Erst wenn eine Zufriedenheit mit der Form entsteht, kommt man weiter. Ich hatte den obigen Entwurf gearbeitet, habe dann den Februar 2020 gebraucht um einen zweiten Entwurf zu schaffen. Sie ist mit mehr Dynamik begabt und treffender in der Gestaltung. Man muss immer ganz neu anfangen. Deshalb zeige ich hier auch das Anfangsstadium.
Als diese Grundlage geschaffen war, gelangte ich zu dem definitiven Entwurf:
Diese Form ist nicht fertig. Die Oberfläche lässt noch zu wünschen übrig, aber die Entfaltung im Raum ist da, die Elemente sind sichtbar herausgearbeitet. Sie gilt als Skizze zur vierten Phase.