Werken

6. Klasse

Wer ein Handwerk mit Sicherheit ausüben will, muss neben grundlegenden Kenntnissen von Material und Werkzeugen auch seinen eigenen Körper völlig beherrschen lernen.                      Als Kleinkind haben wir das Laufen gelernt. Diese Fähigkeit wird später als Jugendlicher oder als Erwachsener völlig individuell beherrscht und gewohnheitsmässig ausgeübt (wie zum Beispiel auch die Handschrift).                                                                                                                          Das Besondere an diesen Fähigkeiten ist, dass sie irgendwann einfach gewohnheitsmässig funktionieren. Sobald unser Bewusstsein nicht mehr alles bis ins Detail begleiten muss, wird es anfangen andere Beobachtungen zu machen. Statt die Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit zu lenken, nimmt es jetzt wahr, was sich durch diese Tätigkeit in der Welt verändert. Beim Laufen beobachten wir die sich ständig wandelnde Landschaft um uns herum. Beim Schreiben vermag ich mich voll auf den Inhalt der Gedanken zu konzentrieren. 

Für die 6. Klasse war für mich die Konditionierung der handwerklichen Tätigkeit das hauptsächlichste Ziel. Ich wählte Arbeiten, an denen lang gearbeitet und viele Erfahrungen gemacht werden konnten.                                                                                                                    Ich hatte keine Vorgaben, keine Vorlagen, keine Ansichtsexemplare. Als mich die Schüler gefragt haben, was denn aus dem Holz entstehen würde, habe ich ihnen geantwortet, dass zunächst geübt  wurde. Denn alles was aus dem Holz entstehen könnte, wäre abhängig von ihren handwerklichen Fähigkeiten und ihrem Geschick und diese müssten sie sich zunächst aneignen. Je mehr Sicherheit sie erlangten, umso mehr wurde ihre Beobachtungsgabe frei. Bald darauf bekamen sie eigene Visionen von dem, was aus der Arbeit werden konnte. Darin habe ich sie unterstützt, ich habe sie ausgefragt und sie angeregt die Bilder der Eigenphantasie zu konkretisieren und als die Bilder greifbar wurden, habe ich Skizzen angefertigt und gefragt, ob diese Skizzen ihren Bildern glichen.

Womit liess ich die Schüler arbeiten?                                                                                                Alle bekamen einen halben Baumstamm und ein Schnitzeisen. Der halbe Baumstamm wurde liegend auf der Werkbank befestigt. Ich gab ihnen das Schnitzeisen Stich 7 von ca. 20 mm Breite.

Zunächst gab ich eine längere Einführung. Ich sprach über das Holz und über das Eisen (des Schnitzeisens). Darauf habe ich mit Sorgfalt die Tätigkeit des Schnitzens vorgemacht. Wie hält man das Eisen so, dass man sich nicht verletzen kann? Wie arbeitet man so, dass man nicht ermüdet? Auf was muss geachtet werden beim Arbeiten?                                                              Ich stellte die Regel auf: wenn jemand redet, so legt er das Eisen in der Beilade.                          Ich liess sie erste Erfahrungen machen und sobald jemand etwas Besonderes entdeckte oder mir etwas Besonderes aufgefallen war, mussten alle Schnitzeisen in die Beiladen der Werkbänke abgelegt werden. Dann stellten wir uns im Kreis um die betreffende Arbeit und nahmen alle Kenntnis von der neuen Entdeckung.                                                                                              Etwa in der dritten Doppelstunde habe ich das Arbeiten mit dem Klöppel (Holzhammer) eingeführt. Man kann sich fragen: Warum nicht vom Anfang an? Diese Frage kam auch von den Schülern und ich musste ihnen sagen: wenn ihr einmal fertig werdet, müsst ihr die Arbeit von Hand fertig arbeiten. Wenn ihr das nicht schon mal geübt habt, dann ist es schade, wenn ihr die Übung an einem fast fertigen Arbeitsstück machen müsst.                                                                Das Schnitzeisen wird auch wohl Hohleisen genannt, es höhlt aus, somit brauchte ich erst gar nicht zu sagen, dass der Baumstamm gehöhlt werden sollte. Es geschah von selbst.                    Die Schülern von 12 - 13 Jahren haben noch einen letzten Nachklang der kindlichen Phantasiekraft und diese Phantasiekraft floss ganz selbstverständlich in die Arbeit ein, es entstanden Bilder, was wohl aus dem Holzstamm alles werden konnte. Ich hörte zu, unterstützte die Bildtätigkeit, manchmal griff ich zu Kohle und Papier und versuchte mit wenigen Strichen ein geschildertes Bild zu zeichnen. Auf diese Weise sind verschiedenste Arbeiten entstanden:

Ich machte in der siebten Klasse (also nur ein Jahr später) die Erfahrung, dass dann diese kindlichen Phantasiekraft vom Vorstellungsleben verdrängt wird. Die Schüler standen plötzlich ihr Arbeiten selbstkritisch gegenüber oder sie sagten nach ein paar Versuchen glatt weg: » Ich kann das nicht«.                                                                                                                              Warum diese Haltung? Die Zielvorstellungen ihres Handelns waren viel deutlicher geworden und führten gleich zu Urteilen.                                                                                                                      Diese Beurteilungskraft durfte in der sechsten Klasse noch schlafen. Ich hätte sie wecken können, aber alle weitere Jahre würden sie noch lange genug damit arbeiten. Der letzte Nachklang der kindlichen Phantasie darf in der sechsten Klasse noch einmal aufleben.

Die zweckmässige Herstellung eines Gegenstandes gründet auf Urteilen, auf die richtige Zweckvorstellungen. So kam auch einmal ein Schüler beim Aushöhlen auf die Idee einen Brutkasten für Vögel zu machen. Klar, das ist auch möglich, aber darf es aus der freien Phantasie gearbeitet werden? Sicherlich nicht! Die Loch-Grösse bestimmt für welche Vogelart dieser Kasten sich eignet. Hat man sich für eine Vogelart entschieden, dann müssen auch die Masse des Innenraumes entsprechend sein. Jede Vogelart hat da bestimmte «Länge X Breite X Höhe». Dieser Schüler wollte diese Aufgabe aber unbedingt machen. Und so ergab es sich, dass er auch in der siebten Klasse noch an seinen Nistkasten weiter arbeitete.