Plastikschule am Goetheanum

Gründung

Die Plastikschule am Goetheanum wurde 1929 gegründet und geht zurück auf dem Gründer Oswald Dubach[i].

Oswald Dubach (1884 - 1950)[ii] wurde in Moskau geboren. Seine Grosseltern waren Schweizer, die nach Russland ausgewandert waren. Ich nehme an, dass er aus diesem Grunde (18-jährig) in die Schweiz reiste und in St. Gallen, an der Kunstgewerbeschule, Grafik studiert hat. Auf seinen weiten Studienreisen wurde er in Paris mit der Anthroposophie bekannt, besuchte in München Vorträge Rudolf Steiners und entschloss sich, 1913, an dem Bau des ersten Goetheanums mitzuarbeiten. Auf persönliche Anweisung von Rudolf Steiner lernte er die Schnitztechniken. 1919 übertrug ihm Rudolf Steiner die Leitung der gesamten plastischen Arbeiten am Bau.

Oswald Dubach galt als ein Künstler, der die Absichten der Erneuerung der plastischen Kunst kraftvoll und individuell realisierte.

In direktem Zusammenhang mit Oswald Dubach steht Carl Kemper (1881 - 1957)[iii]. Auch er reiste mit 18 Jahren in den Westen. Er war in Charkow als Sohn eines deutschen Grosskaufmanns aufgewachsen. Er studierte in Berlin und München, lernte die Anthroposophie kennen und entschied sich 1914 ebenfalls am Bau des ersten Goetheanums mitzuarbeiten. Aus seiner Biographie ist zu entnehmen, dass er, gemeinsam mit Oswald Dubach, ab 1922 Plastizierkurse gab und mit Oswald Dubach ab 1929 die Leitung der Plastikschule am Goetheanum teilte.

1933 trat eine dritte Person hinzu, die den Kunstimpuls der Plastikschule am Goetheanum entschieden mitgetragen hat: Francesco Maresca (1903 - 1969)[iv].

Diese drei Persönlichkeiten vertraten den Kunstimpuls Rudolf Steiners grundlegend und authentisch. Sie vermittelten Studenten der Plastikschule am Goetheanum Erlebnisse, die in ihrem weiteren Leben von grosser Bedeutung waren. Als Beispiel erwähne ich zwei Persönlichkeiten.

Günter Oling (1912 - 2004)[v] absolvierte hier, nach seiner Schreinerlehre, ab 1933 eine siebenjährige Ausbildung als Bildhauer. Danach arbeitete er anschliessend 25 Jahre als Kunst- und Werklehrer an der Rudolf Steiner Schule in Zürich.

Auch Rex Raab (Architekt, 1914 - 2004)[vi] absolvierte an der Plastikschule am Goetheanum die Werklehrerausbildung (1936 - 1939). Wer hier genauer recherchiert, wird noch manche Persönlichkeiten finden, die den Impuls dieser neuen Kunstrichtung weitergetragen haben.


Gründung der Werklehrer- und Bildhauerschule

Raoul Ratnowsky[vii] (Bildhauer, 1912 - 1999) wurde in den fünfziger Jahren von Albert Steffen (Vorsitzender der Anthroposophischen Gesellschaft) angefragt die Leitung des plastischen Gebietes am Goetheanum zu übernehmen.

Raoul Ratnowsky war Bildhauer. Er lernte Oswald Dubach und Carl Kemper kennen und arbeitete sich intensiv in die Formenwelt des ersten Goetheanums ein. 1952 übernahm er, nach dem Tod von Oswald Dubach (1950) die Leitung der Plastikschule am Goetheanum. Auf Grundlage ganz neuer Übungen baute er die Ausbildung für Werklehrer auf. Später erweiterte er diese Ausbildung zum Kunsttherapiestudium.


Zu meiner Biografie

Meine Berufsfindung dauerte drei Jahre. Nach dem Abitur (1969) hatte ich mich an der medizinischen Fakultät in Amsterdam eingeschrieben. Im ersten Semester wurde mir klar, dass das Medizinstudium nicht meiner Wahl entsprach.                                                                In Deutschland machte ich Praktika in einem Heilmittellabor und in einem heilpädagogischen Heim. Seltsamerweise wurde ich von verschiedenen Menschen, mit dem Bau des ersten Goetheanums, dann mit der Ausbildung an der Plastikschule bekannt gemacht. Beides machten einen tiefen Eindruck auf mich, und als ich ein Jahr später ein Praktikum in einem weiteren, heilpädagogischen Heim in der Schweiz machte, besuchte ich die Plastikschule am Goetheanum und entschied mich ihre Ausbildung zu machen.                                              1971 - 1974 absolvierte ich die Werklehrer- und Bildhauerschule (Plastikschule) am Goetheanum. Raoul Ratnowsky war damals unser Lehrer. Er war Bildhauer, hatte sein Atelier auf dem Hügel, der hinter dem Goetheanum hinauf zur Burgruine «Dorneck» führt. Wir wurden in den alten Baracken hinter dem Goetheanum unterrichtet; Baracken, die noch aus der Zeit des ersten Goetheanums stammten.                                                                                Weil in der Ausbildungszeit das Üben im Bildhauerischen ganz im Zentrum stand, durften wir das Studium nur antreten, wenn wir nachweisen konnten, dass wir grundlegende Schreiner-Übungen beherrschten.                                                                                                                  Raoul Ratnowsky hatte den Ausbildungsgang zum Werklehrer entwickelt. Seine bildhauerischen Übungen waren einzigartig. Sie schulten uns Seminaristen dahin die verborgenen Gestaltungskräfte, zu denen der Mensch Zugang hat, immer klarer zu entdecken. Um genügend Sicherheit zu gewinnen wurde uns ausreichend Zeit gegeben. Wir konnten uns voll auf alle Form-Prozessen einzulassen. Aber alle Übungen dienten ausschliesslich der Schulung, keine Übung eignete sich für die spätere, pädagogische Unterrichtstätigkeit. Selbstverständlich wurden wir auch von erfahrenen Dozenten auf die Pädagogik vorbereitet. Wie wir aber die entsprechenden Aufgabestellungen in der individuellen, pädagogischen oder heilpädagogischen Situation zu finden war, war uns selbst an Heim gestellt. Im zweiten und dritten Ausbildungsjahr setzten wir uns intensiv mit den Formen des ersten Goetheanums auseinander. Dazu gab uns Raoul Ratnowsky spezielle Aufgabenstellungen, die immer stärker den Blick für die Bildhauerei schärften.

Von einzelnen Erlebnissen kann ich gerne berichten.                                                                  Ich hatte eine Form entwickelt und diese mit allem Sorgfalt ausgearbeitet. Die Oberfläche war wie eine transparente Haut gestaltet, die die innere Formkräfte erahnen liess. Herr Ratnowsky schaute sich die Form eingehend an. Er schaute nicht bloss mit dem Auge, er schaute mit seiner ganzen Gestalt und ich spürte, wie er sich hinstellte, wie seine Füsse auf den Boden den richtigen Halt suchten und Bewegungen durch seine ganze Gestalt zogen. Plötzlich hielt er inne und fragte: «dörf ich?». Es war mir sofort klar, dass nun seine Hand in die Form fahren würde. «Selbstverständlich», sagte ich. Und da kam seine Faust von unten an die Kante meiner Form heran, zerquetschte die Kante und fuhr wie ein Pflug mit seinen hervorstehenden Knöcheln durch die feingestaltete Oberfläche hindurch. «So muss die Bewegung sich nach unten öffnen», deutete er mir an, dann überliess er mir das weitere Vorgehen.                                                                                                                                Solche Korrekturen durchbrachen die schöne Welt des Scheins und brachten mich auf dem Boden der Realität zurück.

Ein anderes Mal als ich eine Form weitgehend geschafft, innerlich aber höchst unzufrieden war und nicht so recht wusste wie weiter, deutete mir Herr Ratnowsky auf den Prozess des Absterbens, auf das Erstarren und die Eigenbehauptung der Form hin. Er änderte nichts, überliess mir den Prozess des «Stirb und Werde» zu lösen.

Wir hatten die Aufgabe einen grossen Krug zu bilden. Ich hatte Freude an dieser Aufgabe. Sie war schon weitgediehen, doch reichte die Zeit nicht mehr die Arbeit fertig zu machen, die Ferien unterbrachen das Vorgehen. Alles haben wir darauf auseinandergepflückt, im Wissen, dass wir die Aufgabe nach den Ferien wiederaufbauen würden. Ich bedauerte den Verlust einiger schöngeformten Stellen.

Als wir nach den Ferien die Aufgabe wieder aufnahmen, vergingen einige Stunden bis die Grundform des Kruges wiederhergestellt war, mit der Gestaltung konnten wir von Neuem anfangen. Wie erstaunt war ich, als ich in Kürze meine «schöngeformten Stellen» wiedererkannte. Keineswegs waren diese Formelemente unauffindbar gewesen, aus dem «plastischen Gedächtnis» stellten sie sich alle wieder her. Diese Entdeckung, dass in uns selbst ein reales Formgedächtnis lebt, auf das man immer zurückgreifen kann, war für mein weiteres Leben bedeutend.

Wir hatten eine weitere Gestaltungsaufgabe weitgehend gelöst. Herr Ratnowsky ging herum und korrigierte die Arbeiten, als er bei meiner Form anhielt, sie eingehend betrachtete und mir dann liebevoll sagte: «Mehr Licht». Treffender hätte der Hinweis nicht sein können, ich konnte ihn sofort aufnehmen und war beglückt, als diese zwei einfachen Wörter, die fragliche Gestaltung löste. Später realisierte ich, welche besondere Ausdrucksformen unsere plastische Sprache angenommen hatte.

Eine Abschlussarbeit bestand zuletzt aus der Vergrösserung des Baumodells des ersten Goetheanum. Auf einem kreisrund-getäferten Gerüst arbeiteten wir den Architrav-Kranz des Zuschauerraumes. Eine zweite Abschlussarbeit bestand darin völlig individuell eine Metamorphose zu entwerfen und diese letztlich in Holz auszuführen (Über die Idee der Metamorphose habe ich einen ersten Entwurf geschrieben: https://kunstfach-unterrichten.webnode.com/erstes-goetheanum/                                                                            Ich absolvierte die Ausbildung 1974 und nahm meine Arbeit als Werklehrer im heilpädagogischen Institut «St. Michael» auf.                                                                                  Einige Jahre später fragte Herr Ratnowsky im Heim an, ob wir grundsätzlich einverstanden wären bei uns eine Grossplastik von ihm (als Leihgabe) aufzustellen. Über dieses Angebot haben wir uns sehr gefreut. Weil die Plastik aber in Gips gearbeitet war, musste vorerst abgeklärt werden, wie sie genügend wetterbeständig gemacht werden konnte. Leider lösten Fachleute das Problem der Wetterbeständigkeit nicht.

Quellennachweis:

[i] https://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=136

[ii] https://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=136

[iii]https://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=169

[iv] https://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=1343

[v] https://www.oling-jellinek.ch/kuenstler/guenter-oling

[vi] https://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=542

[vii] www.biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=546Hier Text eingeben ...

oder lesen Sie hier eine kleine Ausführung zum ersten Goetheanum: